Echter Kontakt – eine Einladung, wirklich da zu sein

Echter Kontakt ist für mich mehr als eine persönliche Erfahrung, er ist eine stille Form von Widerstand. In einer Welt, die von Anpassung, Rollen und Gehorsam geprägt ist, erinnert er uns daran, was Menschsein wirklich bedeutet. Wenn wir präsent sind, fühlen und wirklich sehen, durchbrechen wir alte Automatismen. Jeder Moment echter Begegnung wird so zu einer kleinen, leisen Revolution: gegen Kälte, Kontrolle und für mehr Bewusstsein.

Andrea Tanner

10/10/20257 min read

Echter Kontakt, dieses Wort klingt so schlicht, und doch trägt es eine ganze Welt in sich:

Für mich ist echter Kontakt keine Erfahrung, sondern eine Art, bewusst zu leben. Eine Möglichkeit, bei der Menschen einander wirklich begegnen, ohne Maske, ohne Rolle, ohne Ziel. Er entsteht nicht durch Worte oder Nähe allein, sondern durch die Gleichzeitigkeit von Offenheit und Selbsthalt. Er beginnt dort, wo wir aufhören, etwas zu tun, und einfach sind, mit allem, was da ist.

Raum statt Eile

Ich habe verstanden: Wenn Kontakt zu schnell geht, läuft er Gefahr, den einen oder den anderen zu überrollen. Wenn ich mich zu stark auf jemanden ausrichte, verliere ich den Boden unter meinen eigenen Füßen. Echter Kontakt wächst in der Langsamkeit. Er entsteht, wenn Nervensysteme sich aufeinander einstimmen dürfen, wenn beide Seiten sich Zeit geben, wirklich anzukommen und zu spüren, wer da gerade gegenübersteht.

Mein Überprüfungsfeld lautet:

  • Ich bleibe bei mir, während ich dich spüre.

  • Ich öffne mich, ohne mich zu verlieren.

Wenn andere über Verletzungen stolpern

Ich erinnere mich an eine Begegnung mit meinen Hunden und einem Rehkitz. Das Kitz lag mitten auf dem Weg, reglos und verletzlich, vielleicht zu vertraut, vielleicht zu erschöpft. Mein einer Hund lief voraus und wäre beinahe über das Reh gestolpert. Erschrocken sprang das Kitz auf und rannte los, mein Hund hinterher. Als ich ihn zurückrief und er von dem Kitz abließ, beruhigte sich die Situation.

Wider Erwarten lief das Kitz nicht davon, sondern legte sich auf einen nahegelegenen Baumstumpf. Ich sprach leise zu ihm, entschuldigte mich und gab ihm zu verstehen, dass die Gefahr vorbei war, dass ich alles bei mir behalte.

Diese Szene hat mich tief berührt. Sie steht für das, was in mir manchmal geschieht:

Meine verletzten Anteile liegen offen da, sichtbar, und andere stolpern darüber, nicht aus Bosheit, sondern weil sie nicht wissen, wie zart dieses Feld ist. Wenn ich innerlich die Führung übernehme, ruhig und präsent bleibe, entsteht Sicherheit. Dann muss kein Teil mehr fliehen. Dann darf alles, was da ist, einfach bleiben.

Die Angst

Viele Menschen fürchten, sich wirklich zu zeigen, aus Angst vor Ablehnung, vor Strafe oder gar davor, dass ihre Echtheit Konsequenzen für sie Selbst oder Ihre Liebsten haben könnte.

Doch ist diese Angst wirklich Real? Stammt sie vielleicht aus alten Erfahrungen, in denen Echtheit tatsächlich gefährlich war, in der Kindheit, in Familien, in Systemen, in denen Anpassung überlebenswichtig war?

Heute dürfen wir prüfen und erforschen, ob diese Bedrohung noch real ist, oder ob sie als tiefsitzende Erinnerung in unserem Nervensystem abgespeichert ist, weil sie nie eine neue Erfahrung machen durfte.

Wenn wir beginnen, präsent zu bleiben und nachzufragen, ob unsere Wahrnehmung aus alten Erlebnissen stammt oder tatsächlich real ist, spüren wir: Die Gefahr ist vorbei.

Wir dürfen sichtbar sein, ohne dass uns etwas Schlimmes geschieht.

Im Gegenteil, Echtheit zieht die Menschen an, die wirklich zu uns passen, und trennt uns sanft von denen, bei denen wir uns verstellen müssten.

So entpuppt sich die Angst als Torwächterin. Sie will uns nicht aufhalten, sondern prüfen, ob wir bereit sind, uns selbst zu vertrauen und den unbekannten Weg trotz der Angst zu gehen. Dadurch wir sie zu einer Wegweiserin, die uns Schritt für Schritt zu unserem wahren Selbst führt.

Das Fundament: Selbsthalt

Echter Kontakt beginnt dort, wo ich mir selbst Halt gebe. Nicht aus Vorsicht, sondern aus Selbstfürsorge und Würde.

  • „Ich bleibe offen und ich ruhe in mir.“

  • „Ich bin bereit, dich zu sehen, und ich verliere mich nicht dabei.“

  • „Ich geh so weit, wie ich grade kann, und mache Pause, um zu verdauen.“

Das ist kein Rückzug, sondern die Grundlage für Tiefe.

Begegnung auf Augenhöhe

Ich habe gespürt: Wenn männliche und weibliche Energie fließen dürfen, ohne Ziehen, ohne Rolle, ohne Spiel, entsteht etwas Heilsames. Ein Raum, in dem keiner mehr etwas beweisen muss, und beide einfach da sind.

Offenheit als Stärke

Früher dachte ich, Offenheit sei gefährlich. Heute weiß ich: Sie ist meine größte Stärke. Das Gefühl, mit offenem Herzen auf dem OP-Tisch zu liegen, zeigt keine Schwäche, sondern die Fähigkeit, wirklich zu fühlen. Ich muss mein Herz nicht mehr schließen, um sicher zu sein. Ich darf lernen, mich selbst zu halten, während ich offen bleibe.

So wird Offenheit zu Präsenz, nicht zu Verletzlichkeit.

Hoffnung, die frei lässt

Ich habe gelernt: Hoffnung ist kein Risiko, solange sie frei bleibt. Sie ist die Erinnerung daran, dass Verbindung möglich ist, überall, nicht nur mit dem einen Menschen.

Wahre Hoffnung sagt:

„Ich vertraue auf Begegnung, nicht auf Kontrolle.“

Sie hält mich offen, ohne mich abhängig zu machen. Sie lässt mich glauben an das, was zwischen Menschen möglich ist, ohne zu verlangen, dass es so sein muss.

Resonanz, auch wenn sie nicht bleibt

Manchmal berührt mich ein Mensch tief und trotzdem entsteht daraus keine langfristige Bindung. Früher tat das weh. Heute weiß ich: Auch flüchtige Begegnungen können wahrhaftig sein. Der Wert einer Begegnung liegt nicht im Ergebnis, sondern im Erleben. Dadurch wird mir bewusst, wie lebendig ich bin und das allein ist schon ein Geschenk.

Magisch:

So wie an einem warmen Sommertag am See, als ich mich wie ein Seestern auf das Wasser legte, getragen von der Spannung der Wasseroberfläche und meinem eigenen Körper. In diesem Moment war alles leicht. Ich fühlte mich verbunden, präsent, ganz da. Diese Schwingung war ansteckend.

Das Magische an diesem Moment war, dass sich diese Präsenz auszubreiten schien: Ein Mann im Wasser, legte sich ebenfalls genüsslich auf die Oberfläche, dann Kinder, dann andere. Es war, als würde ein unsichtbarer Impuls durch den See gehen, leise, sanft und voller Freude. Ich spürte so viel Liebe in mir, dass ich im ersten Moment dachte, ich sei verliebt in diese Menschen. Doch dann wurde mir klar: So fühlt sich Verbundenheit an. Sie ist ansteckend.

Echter Kontakt heißt:

Ganze Menschen, die einander nichts nehmen, sondern sich gegenseitig erinnern, an das, was sie im Kern sind: lebendig, fühlend, verbunden.

Echtheit als Gegenkraft

Ich sehe echten Kontakt heute noch mehr, als etwas Größeres:

Als eine stille, aber machtvolle Gegenkraft zu den Mustern von Anpassung, Autorität und emotionaler Kälte, die unsere Gesellschaft so tief durchdringen.

Die berühmten psychologischen Experimente; Milgram, Stanford Prison u.a. zeigen, wie schnell Menschen sich in Rollen verlieren, wie leicht sie gehorchen, statt zu fühlen.

Sie Zeigen, was geschieht, wenn Verbindung verloren geht: wenn wir uns nicht mehr selbst spüren, geben wir Verantwortung ab, an Systeme, an Autoritäten, an das „Man“.

Echter Kontakt ist das Gegenteil davon. Er ruft uns zurück in die Selbstwahrnehmung, in die Freiheit des eigenen Empfindens. Er durchbricht die Automatismen von Gehorsam und Anpassung, nicht laut, sondern durch Bewusstsein.

Denn wer wirklich präsent ist, wer spürt und sieht, kann nicht blind gehorchen. Bewusstsein lässt sich nicht befehlen.

Jeder Moment echter Präsenz ist eine kleine Revolution, leise, aber tiefgreifend. Sie beginnt im Inneren und verändert, fast unmerklich, die Welt.

Mein Hunger nach Echtheit

Ich kenne diesen Hunger nach echtem Kontakt. Das tiefe Bedürfnis, wirklich gesehen zu werden, nicht nur oberflächlich, sondern in der Tiefe. Und gleichzeitig kenne ich den Anteil in mir, der diese Nähe kaum aushält. Der sich klein, unwürdig, nackt fühlt, der sich lieber zurückzieht, als sich so verletzlich zu zeigen. Heute weiß ich:

  • Beides darf da sein.

  • Die Sehnsucht und der Schutz.

  • Die Offenheit und die Angst.

Wenn ich mir erlaube, beides zu fühlen, entsteht in mir etwas Neues eine stille Würde, ein sanftes Bleiben. Ich darf mich zeigen, auch wenn ich mich klein fühle. Ich darf fühlen, ohne zu wissen, wie es ausgeht.

Und genau darin liegt die Schönheit: dass ich mich nicht verliere, sondern wach bleibe, mit mir, mit dir, mit dem Leben. In meiner Präsenz.

Ich bin nicht Opfer meiner Geschichte, sondern die Schöpferin. Ich weiß heute genau, was sich gut anfühlt und was nicht. Dadurch kann ich beenden und beginnen.

Zeichen und Symbole:

Manchmal spricht das Leben in einer Sprache, die jenseits von Worten liegt. In Zeichen, in Farben, in kleinen Momenten, die etwas in uns berühren, bevor wir sie verstehen.

Ich habe gelernt, dieser feinen Spur zu vertrauen, den Zufälle, die keine sind, den Begegnungen, die etwas in mir zum Klingen bringen, oder den Farben, die sich plötzlich in mein Leben drängen. Sie sind wie Wegweiser aus einer tieferen Ebene: aus der Natur, dem Körper, dem Universum.

Zeichen und Symbole führen mich dorthin, wo mein Verstand noch zögert, mein Herz aber schon weiß, wohin es gehen möchte. Sie erinnern mich daran, dass das Leben selbst kommuniziert, leise, beständig, liebevoll.

In meiner Kunsttherapie-Ausbildung erforschten wir zwei Farben: eine, die uns nährt, und eine, die uns gerade nicht gut tut.

Für mich waren es Rot und Blau.

Rot: die Farbe des Feuers, der Lebenskraft, der Leidenschaft. Sie gehört nicht zu meinen Lieblingsfarben, denn ihre Intensität fordert Präsenz. Rot ruft nach Mut, nach dem Sich-Zeigen, nach der Bereitschaft, das Leben ganz zuzulassen, mit allem, was es bewegt.

Blau hingegen war mir immer vertraut. Ich mag es sehr. Es steht für Ruhe, Sicherheit und Klarheit. Für das Tiefe, Sanfte, Beständige. Doch genau diese Sicherheiten und Strukturen werden mir manchmal zu eng, zu still, zu kontrolliert. Es ist, als hielte mich das Blau an einem Ort fest, an dem es zwar sicher, aber auch ein wenig farblos geworden ist.

So wurde Rot mein Wegweiser.

Wenn ich dieser inneren Führung folge, der Natur, der Intuition, dem höherem Feld, führt sie mich immer dorthin, wo der nächste Schritt für Wachstum geschieht.

Wie an jenem Tag, als ich ganz in dieser neuen, feurigen Energie unterwegs war: Ich parkte ziemlich schräg, stieg aus, und ein älterer Herr kam mir entgegen. Lachend sagte ich: „Da hab ich ja wirklich doof geparkt.“ Er lächelte und antwortete, ohne jeden Sarkasmus: „Frauen sind perfekt.“

Seine Worte weiteten mein Herz. Für einen Moment spürte ich: Ja, Ich-Sein ist perfekt. Es war, als würde das Leben selbst zu mir sprechen.

An der Supermarktkasse fiel mein Blick dann auf einen Kalenderspruch: „Wenn du das Leben liebst, liebt dich das Leben zurück.“

Und genau so ist es: Wenn wir uns wieder fühlen, dem Leben vertrauen und unserer Intuition folgen, können wir gar nicht verkehrt gehen.

Fazit

Echter Kontakt ist zart und kraftvoll zugleich. Er wächst aus Bewusstheit, Mut, Ehrlichkeit und Sanftheit, aus dem Lauschen nach innen und dem ehrlichen Sehen nach außen.

Zeichen und Symbole können uns leiten, ein Wort, eine Farbe, ein Song, der berührt. Das Leben spricht zu uns in seiner eigenen Sprache. Es braucht ein wenig Vertrauen sich einfach führen zu lassen, doch wer wagt, entdeckt Abenteuer und lernt seine Kräfte kennen.

Vielleicht ist es die wahre Essenz von Verbindung: Ich brauche niemanden, um ganz zu sein und doch ist es ein Geschenk, wenn Begegnung geschieht.

Vielleicht ist das auch deine Einladung: Dich zu fragen, wo du dir mehr echten Kontakt wünschst, zu dir selbst, zu anderen, zum Leben.

Denn jedes Mal, wenn wir uns zeigen, so wie wir wirklich sind, wird die Welt ein Stück weicher, wahrhaftiger, lebendiger.

FreiRaum Räume für echte Begegnung.

Von Herz zu Herz. Von Mensch zu Mensch.